Tierversuche am FLI

Am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz Lipmann-Institut (FLI) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die biologischen Grundlagen des Alterns. Da das Altern ein Prozess ist, der den gesamten Organismus betrifft, lassen sich viele wissenschaftliche Fragestellungen nur anhand von Tiermodellen untersuchen. Damit ist das FLI eines von 20 Mitgliedsinstituten der Leibniz-Gemeinschaft, das bei seiner Forschung auf Tierversuche angewiesen ist.

So wie alle Experimente, die in den FLI-Laboren durchgeführt werden, haben auch Versuche an Tieren den Zweck, die biologischen Prozesse, die sich mit dem Altern verändern, besser zu verstehen. Dazu zählen Veränderungen der Funktionalität der Stammzellen, der Gewebshomöostase, der Regenerationsfähigkeit und des Mikrobioms. Aufbauend darauf können neue Therapiemöglichkeiten entwickelt werden, welche die Gesundheit des Menschen im Alter verbessern.

Um Erkenntnisse zu diesen biologischen Prozessen zu gewinnen, nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am FLI die Maus und die beiden Fischarten Türkiser Prachtgrundkärpfling (Killifisch) und Zebrafisch als Tiermodelle. Wenn Forschende wissenschaftliche Experimente planen, prüfen sie immer zunächst, ob Versuche mit Wirbeltieren notwendig sind oder ob andere Methoden zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung ausreichen.

Dabei gehen sie nach folgender Systematik vor (siehe Abbildung):

Erster Schritt: Generierung einer Hypothese/wissenschaftlichen Fragestellung

Zweiter Schritt: Durchführung wissenschaftlicher Experimente mithilfe von Zellkulturen (oder anderen experimentellen Methoden)

Nur wenn eine Hypothese nicht durch Experimente mit Zellen oder mithilfe anderer Methoden wie Computersimulation oder Studien an Würmern überprüft werden kann, erwägen die Forschenden Tierversuche mit Wirbeltieren.

Die Durchführung dieser Tierversuche ist durch das Tierschutzgesetz streng geregelt und bedarf eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens. Sie werden ausschließlich von Personen geplant und durchgeführt, die über die gesetzlich geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Das sind vor allem Biowissenschaftler/innen und Veterinär/innen, aber auch Tierpfleger/innen sowie Biologielaboranten und -laborantinnen, die sich in versuchstierkundlichen Kursen zur Erlangung eines amtlich anerkannten Sachkundenachweises qualifiziert haben.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihre an den Tierversuchen beteiligten Kolleginnen und Kollegen sind sich ihrer Verantwortung gegenüber den Tieren jederzeit bewusst. Zur Vermeidung von Tierversuchen (Replace), zur Minimierung der Anzahl von Tieren in den Versuchen (Reduce) und zur Verbesserung des Tierwohls (Refine) wenden sie das 3R-Prinzip an und verpflichten sich damit, stets das Wohlergehen der Tiere zu achten, und dies auch über die gesetzlichen Anforderungen hinaus.

Außerdem unterliegen Tierhaltung und Tierschutz am FLI einem internen Compliance Management Systems (CMS). Hier wachen ein Compliance-Stab und Sachverständige darüber, dass alle Prozesse in der Forschung regelkonform ablaufen.

Tierschutzgesetz

In Deutschland gibt es seit 1972 ein Tierschutzgesetz. Es schützt alle Tiere – auch Versuchstiere. Das Gesetz wurde 2006, 2013 und 2021 überarbeitet mit dem Ziel, das Wohl der Tiere zu schützen. In §1 heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Somit lässt das Tierschutzgesetz Tierversuche zu – soweit „vernünftige Gründe“ vorliegen. Solche, vor dem Gesetz gültige „vernünftige Gründe“ sind in § 7a aufgeführt. Dazu zählen unter anderem die Grundlagenforschung oder andere Forschung, die die „Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Menschen oder Tieren“ zum Ziel hat.

Richtlinie 2010/63/EU und Tierschutzversuchstierverordnung

Der Tierschutz soll in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union möglichst die gleichen Anforderungen stellen. Dadurch sind auch die wissenschaftlichen Ergebnisse von Tierversuchen besser vergleichbar. Die 2010 erlassene Richtlinie der Europäischen Union „Zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ ist mittlerweile in allen EU-Ländern in nationales Recht umgesetzt worden. So wurde in Deutschland im Jahr 2013 das Tierschutzgesetz novelliert und das Tierschutzrecht durch die Tierschutz-Versuchstierverordnung weiter konkretisiert. Im Jahr 2021 erfolgten erneut Anpassungen und Aktualisierungen.

Das 3R-Prinzip ist das grundlegende ethische Prinzip der Versuchstierkunde. Es hat zum Ziel, die Häufigkeit von Tierversuchen auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren und die Belastung für jedes einzelne Tier so gering wie möglich zu halten. Dieses Prinzip wurde in der Richtlinie der Europäischen Union 2010/63/EU verankert und ist damit für alle EU-Staaten rechtlich bindend (siehe oben). Die Vorgaben aus dieser EU-Direktive wurden 2013 in nationales Recht überführt.

Begründet wurde das 3R-Konzept bereits 1959 von William Russel und Rex Burch in ihrem Buch „The Principles of Humane Experimental Technique".


Wofür steht 3R im Einzelnen?

Replace (Ersetzen): Wann immer möglich, muss ein Tierversuch durch eine Alternativmethode ersetzt werden.

Reduce (Verringern): Es dürfen nur so viele Versuchstiere eingesetzt werden, wie unbedingt nötig.

Refine (Verbessern): Die Belastung der Tiere während des Versuchs muss so gering wie möglich gehalten werden und ihre Haltungsbedingungen stetig verbessert werden.


Wie wird das 3R-Prinzip am FLI umgesetzt?

Replacement – Vermeidung von Tierversuchen

Wann immer möglich, werden wissenschaftliche Fragestellungen zunächst in der Zellkultur getestet (in vitro), bevor ein Tierversuch geplant und durchgeführt wird (in vivo). Ein weiterer Ansatz sind virtuelle Versuche mithilfe von Computermodellen (in silico). Um diese Art des Experimentierens zu ermöglichen, wurde der Bereich Bioinformatik am FLI weiter ausgebaut. Darüber hinaus gibt es am FLI die Möglichkeit, Tierversuche an Wirbeltieren wie Mäusen und Fischen zu vermeiden, indem Untersuchungen an wirbellosen Spezies wie Fadenwürmern oder an Fischeiern und Fischlarven durchgeführt werden.

Reduction – Verringerung der Zahl der Versuchstiere

Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist vor Versuchsbeginn eine gründliche Versuchsplanung essenziell. Neben der Beratung durch die Tierschutzbeauftragten, sind Wissenschaftler/innen am FLI verpflichtet, Biostatistiker/innen zu konsultieren. Mithilfe statistischer Verfahren können Gruppengröße und Anzahl der Tiere so berechnet werden, dass sie bei Einsatz möglichst weniger Tiere zur Gewinnung aussagekräftiger Ergebnisse beitragen. Eine derart sorgfältige Versuchsplanung hilft, die Zahl der Tiere pro Versuch zu reduzieren und vor allem eine Wiederholung von Tierversuchen zu vermeiden. Zudem wurde am FLI eine Datenbank programmiert, über die Tiere zwischen Wissenschaftler/innen am FLI vermittelt werden. So können beispielsweise mehrere wissenschaftliche Fragen mithilfe eines einzelnen Versuchstiers beantwortet werden. Dies trägt dazu bei, die Zahl der eingesetzten Tiere möglichst gering zu halten.

Refinement – Verbesserung bei Haltung und Behandlung

Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Tierpfleger/innen, Tierärztinnen und Tierärzten sowie Forschenden und Tierschutzbeauftragten wird sichergestellt, dass die Tiere in der Tierhaltung sowie im Tierversuch hinsichtlich des Tierwohls optimal überwacht und betreut werden. Im FLI-Tierschutzausschuss werden regelmäßig neue Ansätze diskutiert und getestet. So kann eine kontinuierliche Verbesserung des Tierschutzes am FLI erzielt werden.

Es gibt verschiedene Arten von Tierversuchen, bei denen die Tiere mehr oder weniger in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt werden. Während eine Blutabnahme nur geringe Schmerzen verursacht, kann eine Operation, bei der beispielsweise Nerven durchtrennt werden, um etwa die Auswirkungen von Muskelschwund zu untersuchen, schwerere und länger anhaltende Schmerzen oder Beeinträchtigungen verursachen.

Wer Tierversuche durchführen möchte, muss, neben der gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildung und Genehmigung, vor Beginn des Versuchs, währenddessen und danach bewerten und dokumentieren, wie die Belastung der Tiere einzuordnen ist. Mit Belastung ist das Ausmaß von Schmerzen, Leiden, Ängsten oder dauerhaften Schäden gemeint, die das Tier während des Eingriffs voraussichtlich empfindet – unter Berücksichtigung der Maßnahmen, mit denen dies minimiert werden kann. Die Richtlinie der Europäischen Union „Zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ 2010/63/EU unterscheidet vier Belastungskategorien:

  • Gering: Tierversuche, bei denen Tieren kurzzeitige und geringe Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, etwa durch eine einmalige Blutentnahme oder Injektion. Dies sind Eingriffe, wie sie auch in einer Tierarztpraxis Routine sind.
  • Mittel: Tierversuche, in denen bei Tieren kurzzeitig mittelstarke Schmerzen, mittelschwere Leiden oder Schäden oder langanhaltende, geringe Schmerzen verursacht werden, beispielsweise bei operativen Eingriffen unter Vollnarkose und anschließender medikamentöser Schmerzbehandlung. 
  • Schwer: Tierversuche, bei denen bei den Tieren starke Schmerzen, schwere Leiden oder Schäden oder langanhaltende mittelstarke Schmerzen, mittelschwere Leiden oder Schäden verursacht werden, die mit dem Tod der Tiere einhergehen können.
  • Keine Wiederherstellung der Lebensfunktion: Tierversuche, bei denen Tiere ohne „Vorbehandlung“, das heißt ohne zuvor Eingriffe vorgenommen zu haben, für wissenschaftliche Zwecke getötet werden, beispielsweise um einzelne Organe zu entnehmen; oder Versuche, bei denen Tiere in Vollnarkose versetzt werden (um kleinere Operationen vorzunehmen), aus der sie nicht mehr erwachen. Das heißt, sie werden unter Vollnarkose getötet.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung erhebt regemäßig, wie viele Versuchstiere welchem Grad der Belastung ausgesetzt sind.

2020 wurden in Deutschland knapp 1,9 Millionen Tiere für Tierversuche eingesetzt. Hinzu kommt die Anzahl der Wirbeltiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken getötet wurden. Werden Tiere ohne Vorbehandlung zu wissenschaftlichen Zwecken getötet, beispielsweise um ihnen Organe oder Gewebe für Untersuchungen zu entnehmen, ist dies zwar kein Tierversuch im Sinne des Gesetzes, dennoch fließen diese Zahlen in die jährliche Versuchstiermeldung ein. Die Zahlen werden regelmäßig auf der Homepage des Bundesinstituts für Risikobewertung veröffentlicht.

Wie andere EU-Staaten ist auch Deutschland verpflichtet, Tierversuche zu melden. Der genaue Ablauf ist in der Versuchstiermeldeverordnung geregelt. In der Meldung werden Art, Herkunft und Zahl aller verwendeten Wirbeltiere oder Kopffüßer sowie Zweck, Art und Schweregrad der Versuche erfasst.

Wie die Grafik zeigt, ist der Anteil der Tiere, die für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt werden, relativ gering verglichen mit der Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft.

Um einen Tierversuch in Deutschland durchzuführen, bedarf es einer Genehmigung durch die zuständige Behörde. Für das FLI ist das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz (TLV) zuständig, eine obere Landesbehörde des Freistaates Thüringen.

Das Antragsgenehmigungsverfahren beginnt, indem der oder die Wissenschaftler/in einen Tierversuchsantrag ausfüllt. In diesem Antrag ist detailliert und umfassend zu erläutern, warum das Tierversuchsvorhaben unerlässlich ist, um eine bestimmte wissenschaftliche Fragstellung zu beantworten, und weshalb dafür Tiere eingesetzt werden sollen. Das heißt, der/die Wissenschaftler/in muss immer zuerst prüfen, ob zur Beantwortung der Fragestellung anstelle des Tierversuchs nicht andere Methoden angewendet werden können. Außerdem müssen Antragsteller/innen darlegen, dass sie ausgiebig geprüft haben, ob die Fragestellung nicht woanders auf der Welt schon einmal untersucht wurde. Darüber hinaus wird verlangt, dass der Tierversuch unter Berücksichtigung der 3R-Prinzipien stattfindet (siehe oben).

Im nächsten Schritt wird der Tierversuchsantrag entsprechend der oben genannten Gesichtspunkte durch den/die Tierschutzbeauftragte/n des FLI geprüft. Diese/r berät die Antragsteller/in und macht Vorschläge im Hinblick auf die Umsetzung des Tierschutzes. Zusammen mit dem Tierversuchsantrag schicken die Tierschutzbeauftragten dann ihre unabhängige Bewertung (Stellungnahme) des geplanten Tierversuchs an die zuständige Behörde. Diese prüft den Antrag und wird dabei von einer Tierschutzkommission (der sogenannten §15-Kommission) fachlich beratend unterstützt. Dieser Kommission gehören Fachleute wie Wissenschaftler/innen, Ethiker/innen, Statistiker/innen und nicht-wissenschaftliche Vertreter/innen von Tierschutzorganisationen an. Sie bewerten Anträge ebenfalls nach den oben genannten Kriterien. Nur wenn ein Antrag alle tierschutzrechtlich relevanten Kriterien erfüllt, wird er genehmigt.

Sobald ein Antrag genehmigt wurde, darf der Tierversuch durchgeführt werden. Weitere Kontrollen finden während der Durchführung und zu der Dokumentation des Tierversuchs statt – intern durch den/die Tierschutzbeauftragten und extern durch das Veterinäramt. Die amtstierärztlichen Kontrollen sind zum Teil unangekündigte Vor-Ort-Besichtigungen. Zusätzlich werden Zwischen- und Abschlussberichte von den Wissenschaftler/innen eingefordert, die Daten und Fakten zum Verlauf des Tierversuches dokumentieren. Sollten bei den Kontrollen durch Tierschutzbeauftragte oder das Veterinäramt Abweichungen festgestellt werden, kann der Tierversuch unmittelbar gestoppt werden.