Wenn Zellen wachsen und sich teilen, muss alles genau im Gleichgewicht bleiben. Gerät dieses System außer Kontrolle, droht die Entstehung von Krebs. Ein Team um Dr. Björn von Eyss vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena hat mit dem Transkriptionsfaktor JUN einen bislang unbekannten Schutzmechanismus der Zellen entdeckt. Bisher vor allem als „Beschleuniger“ von Wachstumssignalen bekannt, kann JUN auch auf die Bremse treten und Zellen vor übermäßigem Wachstum bewahren. Er hält den Wachstumstreiber YAP in Schach, ein Protein, das bei vielen Krebsarten, besonders in der Leber, überaktiv ist.
Zellen im Gleichgewicht
YAP ist Teil des sogenannten Hippo-Signalwegs, eines molekularen Netzwerks, das die Zellteilung und Organgröße reguliert. Wird YAP zu stark aktiviert, geraten Zellen außer Kontrolle und wachsen immer weiter – ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Krebsentstehung.
Doch die Studie zeigt, dass YAP zugleich seine eigene Bremse mitliefert. Das Gen aktiviert den Transkriptionsfaktor JUN, der wiederum genau an den Stellen im Erbgut, an denen Wachstumsprogramme starten würden, YAP blockiert. So entsteht eine Rückkopplungsschleife, die verhindert, dass Wachstumssignale in den Zellen überhandnehmen.
Ein Zuviel an YAP aktiviert also den Treiber für seine eigene Kontrolle – ein ausgeklügelter Selbstschutzmechanismus der Zelle.
Wenn die Bremse versagt
In Experimenten mit Leberzellen und Mausmodellen konnten die Forschenden zeigen, dass JUN einen großen Teil des YAP-vermittelten Genprogramms gezielt abschaltet. Anstatt Gene zu aktivieren, bindet JUN an die DNA und unterdrückt dort das YAP-Signal. Ist dieser Mechanismus gestört, kann YAP ungebremst wirken, was zu unkontrolliertem Zellwachstum und der Entstehung von Tumoren führt.
In Leberkrebs-Modellen führte eine zusätzliche Produktion von JUN zu kleineren Tumoren und einer geringeren Lebervergrößerung. Auch Patientendaten belegen den Zusammenhang: Patientinnen und Patienten, bei denen JUN nicht mehr als Bremse fungieren kann, haben eine schlechtere Überlebenschance.
Ein alter Bekannter mit neuer Rolle
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass JUN nicht nur ein Mitspieler, sondern auch ein Wächter im Wachstumsnetzwerk der Zelle ist“, erläutert Dr. Björn von Eyss. „Wenn diese wichtige Kontrolle ausfällt, öffnet sich das Tor für das Krebswachstum.“
„Unsere Studie liefert einen neuen Blick auf ein bekanntes Molekül. JUN kann sowohl Zellprozesse antreiben als auch gezielt ausbremsen. Das heißt, er agiert als ein molekularer Schalter, der über Gesundheit oder Krankheit mitentscheidet“, ergänzt Dr. Yuliya Kurlishchuk, Erstautorin der im EMBO Journal veröffentlichten Studie.
Perspektiven für die Krebsforschung
Die Entdeckung dieses natürlichen Regelventils vertieft das Verständnis darüber, wie Zellen ihre Wachstumssignale präzise steuern. Dadurch eröffnen sich neue Perspektiven für Therapien, die darauf abzielen, die schützende Funktion von JUN gezielt zu aktivieren oder zu stabilisieren, um unkontrolliertes Zellwachstum zu verhindern.
Langfristig könnte dieses Wissen nach Ansicht der Forschenden dabei helfen, Leberkrebs wirksamer zu behandeln.
Publikation
A non-canonical repressor function of JUN restrains YAP activity and liver cancer growth. Kurlishchuk Y, Cindric Vranesic A, Jessen M, Kipping A, Ritter C, Kim K, Cramer P, von Eyss B. EMBO J. 2024, 43(20), 4578-4603. doi: 10.1038/s44318-024-00188-0.



