Groß oder klein, das ist hier die Frage! Wie das Gen MCPH1 die Größe unseres Gehirns bestimmt

Research

Der Frage nach der Größe des Gehirns, einem entscheidenden Unterschied, der uns zum Menschen macht, gehen Forscher des Leibniz-Instituts für Altersforschung in Jena nach. Sie untersuchten den Mechanismus, der zu Mikrozephalie führt, einer seltenen neuronalen Entwicklungsstörung, die beim Menschen mit einer enormen Reduktion des Gehirnvolumens verbunden ist. Der Verlust eines Gens, das auch beim Menschen vorkommt, des MCPH1-Gens, löst bei Mäusen Mikrozephalie aus. MCPH1 spielt eine wichtige Rolle bei der Zellteilung. Fehlt das Gen, wird das Verhältnis symmetrischer zu asymmetrischer Zellteilung neuronaler Stammzellen gestört und der Pool an Vorläuferzellen, die zur Expansion der Großhirnrinde notwendig sind, vermindert. MCPH1 bestimmt somit die Größe des Gehirns. (Nature Cell Biology 2011, doi:10.1038/ncb2342).

Das entscheidende Merkmal, das uns Menschen von unseren nächsten Verwandten unterscheidet, ist die Größe und Komplexität des Gehirns. Besonderes Interesse gilt dabei dem zerebralen Kortex (Großhirnrinde), der uns u.a. die Wahrnehmung, das Denken und die Sprache ermöglicht. Im Verlauf der Evolution von Säugetieren hat sich die Gehirngröße dramatisch vergrößert; unser heutiges Gehirn wiegt im Durchschnitt etwa 1300 Gramm. Um die Hirnentwicklung und komplexe Funktionsweise besser verstehen zu können, ist ein möglicher Ansatz, Störungen oder defekte Mechanismen zu untersuchen, die zu einer fehlerhaften Hirnentwicklung führen.

Bei Individuen mit primärer Mikrozephalie (MCPH) ist das Gehirnvolumen um etwa zwei Drittel reduziert; durch den Verlust von Neuronen bei der Entwicklung des Gehirns sind diese Patienten geistig unterentwickelt. Als genetische Ursache werden Mutationen in einem Gen mit dem Namen MCPH1 angenommen. Das Proteinprodukt dieses Gens, Mikrozephalin, wurde bisher mit Aufgaben in der Zellzykluskontrolle und DNA-Schadensantwort/-reparatur oder der Regulierung der Chromosomenkondensation in Verbindung gebracht.

Welche Rolle MCPH1 bei der Entwicklung des Gehirns spielt, untersuchte jetzt eine Forschergruppe um Professor Zhao-Qi Wang, Leiter der Arbeitsgruppe "Genomische Stabilität" am Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Den Forschern gelang der Nachweis, dass MCPH1 eine wichtige Rolle beim Zellteilungsprozess neuronaler Stammzellen spielt und für die korrekte Positionierung der mitotischen Spindel verantwortlich ist. Durch seinen Einfluss auf die Balance zwischen symmetrischer und asymmetrischer Zellteilung bei der Embryonalentwicklung des Gehirns ist MCPH1 ein entscheidender Faktor, der die Größe unseres Gehirns beeinflusst. Diese Forschungsergebnisse sind nun in der renommierten Fachzeitschrift "Nature Cell Biology" (doi: 10.1038/ncb2342) erschienen.

"Um die Funktion von MCPH1 bei Zellteilungsprozessen, speziell bei der Embryonalentwicklung des Gehirns, zu untersuchen, verwendeten wir neben ausgewählten Zelllinien Mäuse, denen das wichtige Gen MCPH1 fehlte", berichtet Prof. Wang vom Fritz-Lipmann-Institut in Jena. "Wir konnten zeigen, dass der Verlust von MCPH1 bei neugeborenen Mäusen zu einer Mikrozephalie, ähnlich der beim Menschen, führt und es zu einer spezifischen Abnahme der Dicke und seitlichen Ausdehnung des zerebralen Kortex, der Großhirnrinde, kommt. Das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von MCPH1 hat also einen entscheidenden Einfluss auf die gesunde Gehirnentwicklung", so Prof. Wang weiter.

Stammzellen (Vorläuferzellen) sind das Reservoir, aus dem im Lauf der Entwicklung die unterschiedlichsten Zell- und Gewebetypen eines Organismus hervorgehen. Neuronale Stammzellen teilen sich, um sich entweder zu vermehren (symmetrische Zellteilung) oder um differenzierte Zellen, wie z.B. Nervenzellen, zu bilden (asymmetrische Zellteilung). Bei der embryonalen Entwicklung des Gehirns von Säugetieren kommen beide Formen der Zellteilung nebeneinander vor. Der entsprechende Zeitpunkt des Umschaltens zur Bildung von Nervenzellen reguliert die Balance zwischen Vermehrung, Selbsterneuerung und Verbrauch des Vorrates an Stammzellen und somit das Wachstum und die Größe des Gehirns. "Fehlt MCPH1, dann tritt dieser Umschalt-Zeitpunkt verfrüht ein und die Balance zwischen symmetrischer und asymmetrischer Zellteilung der Vorläuferzellen wird gestört. Dieser vorzeitige Wechsel in die asymmetrische Zellteilung bewirkt schließlich, dass der Pool an Stammzellen, der für die Neubildung von Nervenzellen zur Verfügung steht, limitiert wird", unterstreicht Prof. Wang. "Das ist ein Grund, warum es bei der Mikrozephalie-Erkrankung zu einer enormen Reduktion des Gehirnvolumens kommt."

Warum begünstigt aber gerade der Verlust von MCPH1 die asymmetrische Zellteilung von neuronalen Stammzellen? "Im Evolutionsverlauf müssen neuronale Vorläuferzellen einen Mechanismus entwickelt haben, der durch die präzise Ausrichtung der Teilungsachse die Zellteilung kontrolliert", informiert Prof. Wang. "MCPH1 übernimmt diese wichtige Aufgabe und stellt die exakte Positionierung der mitotischen Spindel, die für die Trennung der Tochterchromosomen verantwortlich ist, sicher. Fehlt aber MCPH1, löst die falsche Ausrichtung einen vorzeitigen Eintritt in die Mitose aus, noch bevor die Reifung der Zentrosomen, die für die Ausbildung der Mitosespindel zuständig sind, abgeschlossen ist. Das führt schließlich zur Begünstigung der asymmetrischen Zellteilung und somit zur Reduktion des Stammzellen-Pools."

"Das neue Wissen um den entscheidenden Einfluss von MCPH1 bei der Aufrechterhaltung des Pools an neuronalen Stammzellen und Nervenzellen bei der Gehirnentwicklung und bei der Regulation von symmetrischer und asymmetrischer Zellteilung dürfte die Entwicklung neuer Strategien begünstigen, neurodegenerativen Krankheiten entgegenzuwirken", ist sich Prof. Wang sicher.

Publikation

Gruber R, Zhou Z, Sukchev M, Joerss T, Frappart PO, Wang ZQ. MCPH1 regulates the neuroprogenitor division mode by coupling the centrosomal cycle with mitotic entry through the Chk1-Cdc25 pathway. Nat Cell Biol. 2011, 13(11), 1325-1334. doi: 10.1038/ncb2342

Kontakt

Dr. Kerstin Wagner
Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Beutenbergstr. 11, 07745 Jena
Tel.: 03641-656378, Fax: 03641-656335
E-Mail: presse@fli-leibniz.de